Warum Erziehung meist traumatisiert und was wir ändern müssen!

Transgenerationale Traumata und ihre Wirkung ausgehend von der Publikation ‚Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind‘“

Die Last vergangener Generationen

Nach dem Zweiten Weltkrieg prägten die Schrecken des Krieges und die gesellschaftlichen Umstände Millionen von Familien. Johanna Haarers Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, ein Erziehungsratgeber aus der NS-Zeit, war ein bedeutender Faktor bei der Bildung eines autoritären, emotional distanzierten Erziehungsstils, der die Nachkriegsgenerationen stark beeinflusste. Das besondere ist, dass dieses 1934 erschienene Buch auch nach der NS-Zeit in abgemilderter Form bis 1987 verlegt wurde! So wurden die damals weit verbreiteten Erziehungslehren auch an spätere Generationen nicht nur in den Familien, sondern auch über die Publikation weiterhin gelehrt.

Doch wie wirkt sich dieser Erziehungsstil auf heutige Generationen aus? Insbesondere im Kontext der transgenerationalen Traumata – der Weitergabe von unverarbeiteten psychischen Belastungen von einer Generation zur nächsten – zeigen sich die tiefen Narben, die die Zeit hinterlassen hat.

Der Einfluss von Haarers Werk auf die Nachkriegszeit

Haarers Buch propagierte eine Erziehung, die Gefühle unterdrückt und Bindungen vermeidet. Ein prägnantes Beispiel: „Je weniger die Mutter beim Füttern, Baden, Wiegen und bei sonstigen Pflegeverrichtungen den Säugling stört, desto besser für beide.“ Diese Aufforderung, das Baby emotional auf Distanz zu halten, führte dazu, dass Kinder von Beginn an keine sichere Bindung aufbauen konnten.

Ebenso schrieb sie: „Man sollte beim Schlafengehen das Weinen ignorieren, damit das Kind lernt, sich selbst zu beruhigen.“ Diese Praxis schädigte das Vertrauen von Kindern in ihre Bezugspersonen und führte zu einem tiefen Gefühl von Unsicherheit und Isolation. Die Nachkriegszeit war geprägt von dieser emotionalen Kälte, die sich nicht nur in den Familien, sondern auch in der Gesellschaft widerspiegelte.

Für die Nachkriegsgeneration bedeutete dies:

1. Emotionale Unterdrückung: Gefühle wie Angst, Schmerz oder Trauer wurden nicht ausgedrückt oder anerkannt, was zu einem kollektiven Mangel an emotionaler Verarbeitung führte.

2. Bindungstrauma: Kinder, die keine sichere emotionale Bindung zu ihren Eltern hatten, entwickelten oft Unsicherheiten und Schwierigkeiten in ihren eigenen zwischenmenschlichen Beziehungen.

3. Kollektive Schuld: Viele Eltern, die den Krieg überlebt hatten, trugen Schuldgefühle oder psychische Verletzungen in sich, die sie unbewusst auf ihre Kinder projizierten.

Transgenerationale Traumata: Wie die Vergangenheit in die Gegenwart reicht

Die Idee der transgenerationalen Traumata beschreibt, wie traumatische Erlebnisse einer Generation – sei es durch Krieg, Gewalt oder Erziehungsstile – an die nächste weitergegeben werden. Die Kinder der Nachkriegsgeneration wuchsen oft in einem Umfeld auf, das von emotionaler Kälte und unausgesprochenen Traumata geprägt war.

Hauptmechanismen der Weitergabe:

Stille und Tabus: Traumatische Erlebnisse wurden selten thematisiert. Dieses Schweigen führte dazu, dass Kinder die Ängste ihrer Eltern spürten, ohne sie zu verstehen. Sie bezogen diese dann auf sich. „Ich bin nicht richtig.“ In vielen Familien galt das ungeschriebene Gesetz: „Man spricht nicht über das, was passiert ist.“

Erziehungsmuster: Die in Haarers Werk empfohlene Distanz wurde oft unbewusst von Generation zu Generation weitergegeben. Dr. Gabor Maté erklärt hierzu: „Eltern, die ihre eigenen Schmerzen und Traumata nicht bearbeiten, geben diese unbewusst an ihre Kinder weiter.“

Psychosomatische Symptome: Die körperliche Manifestation von Ängsten und Spannungen

Die psychischen Belastungen und unbewältigten Traumata der Nachkriegsgenerationen äußerten sich oft nicht nur in emotionalen oder zwischenmenschlichen Problemen, sondern auch in körperlichen Symptomen. Dieser Prozess, bei dem psychische Spannungen physische Beschwerden hervorrufen, wird als Psychosomatik bezeichnet. In Familien, die durch die autoritären Erziehungsprinzipien Johanna Haarers und die traumatischen Nachwirkungen des Krieges geprägt waren, war dies ein weit verbreitetes Phänomen.

1. Eltern
Die Eltern, die selbst stark von den Erfahrungen des Krieges und den emotional distanzierten Erziehungsmethoden betroffen waren, litten oft unter diffusen körperlichen Beschwerden, die schwer medizinisch zu erklären waren. Dazu zählten chronische Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme und Schlafstörungen. Diese Symptome waren häufig Ausdruck einer inneren Anspannung, die durch unverarbeitete Schuldgefühle, Ängste oder Verlusterfahrungen verursacht wurde. Das Schweigen über traumatische Erlebnisse verstärkte diesen Druck, da es den Betroffenen nicht möglich war, ihre Gefühle zu benennen oder auszudrücken.

2. Kinder
Auch die Kinder dieser Generation erlebten psychosomatische Symptome. Sie wuchsen in einer Umgebung auf, in der unausgesprochene Spannungen und unterschwellige Ängste allgegenwärtig waren. Viele Kinder entwickelten Bauchschmerzen, Übelkeit oder Hautprobleme, ohne dass physische Ursachen gefunden werden konnten. Diese Beschwerden wurden häufig als „Empfindlichkeit“ abgetan, waren jedoch Ausdruck der emotionalen Belastungen, die sie übernahmen. Die Kinder nahmen die unbewussten Ängste und Traumata ihrer Eltern auf, ohne sie verstehen oder verarbeiten zu können. Das führte zu einem inneren Konflikt, der sich in körperlichen Symptomen zeigte.

3. Körperliche Disziplin und emotionale Unterdrückung
Die in Haarers Buch propagierten Erziehungsmethoden trugen zusätzlich dazu bei, dass Kinder den Zugang zu ihren eigenen Gefühlen verloren. Schmerz, Angst oder Trauer durften nicht gezeigt werden, sondern mussten unterdrückt werden. Diese emotionale Unterdrückung fand ihren Ausdruck oft im Körper. Chronische Muskelverspannungen, Herz-Kreislauf-Probleme und andere körperliche Beschwerden begleiteten viele dieser Menschen ein Leben lang.

4. Langfristige Auswirkungen
Die psychosomatischen Symptome waren nicht nur Ausdruck des individuellen Leidens, sondern hatten auch eine transgenerationale Dimension. Kinder lernten von ihren Eltern, dass körperliche Beschwerden oft der einzige „erlaubte“ Ausdruck von innerem Leiden waren. Dieses Verhalten wurde in vielen Familien weitergegeben, wodurch psychosomatische Krankheiten zu einem stillen Erbe der Nachkriegsgeneration wurden.

Die Verbindung von Geist und Körper
Die psychosomatischen Symptome der Nachkriegsgenerationen zeigen, wie eng psychische Belastungen und körperliche Beschwerden miteinander verbunden sind. Ohne Bewältigungsstrategien, ein offenes Gespräch oder eine konsequente Aufarbeitung über die Ursachen blieben die Spannungen bestehen und prägten die betroffenen Familien über Generationen hinweg. Die Heilung dieser Symptome erfordert nicht nur eine medizinische, sondern auch eine psychologische bzw eine emotionale oder spirituelle Auseinandersetzung mit den Ursachen.


Die weiteren Folgen für heutige Generationen

Heutige Generationen erleben die Auswirkungen dieser Erziehung und der transgenerationalen Traumata in verschiedenen Bereichen ihres Lebens:

1. Beziehungsprobleme: Schwierigkeiten, intime, emotionale Verbindungen aufzubauen, sind häufig. Bindungsängste oder -abhängigkeiten sind weit verbreitet. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich sprach in diesem Zusammenhang von einer „vaterlosen Gesellschaft“, in der Kindern eine stabile, emotionale Bezugsperson fehlte.

2. Psychische Belastungen: Depressionen, Ängste und psychosomatische Erkrankungen sind oft die Folge unverarbeiteter Traumata. Laut Maté entstehen viele dieser Symptome, weil „Trauma nicht das ist, was dir passiert, sondern das, was in dir passiert.“

3. Selbstwertprobleme: Viele Nachkommen der Nachkriegsgenerationen fühlen sich innerlich leer oder haben das Gefühl, ständig funktionieren zu müssen, um ihren Wert zu beweisen. Dieses „Funktionieren-Müssen“ resultiert aus der ständigen Erwartungshaltung, die von der vorherigen Generation aufrechterhalten wurde.

Heilung und Verarbeitung: Wege aus dem transgenerationalen Trauma durch den geprägten Erziehungsstil

Der erste Schritt zur Heilung ist das Bewusstsein. Die Muster zu erkennen, die aus der Vergangenheit stammen, ist essenziell, um sie zu durchbrechen. Die Arbeit von Dr. Gabor Maté, einem führenden Experten im Bereich Traumaheilung, bietet wichtige Einsichten.

Lösungsansätze:

1. Therapie und Reflexion: Traumatherapie kann helfen, die Auswirkungen zu verstehen und neue Wege zu entwickeln. Dazu gehört auch die Konfrontation mit familiären Mustern und das Bewusstmachen von verdrängten Gefühlen.

2. Bindungsarbeit: Das Erlernen sicherer Bindungen – sei es in Partnerschaften oder zu sich selbst – ist zentral. Wie Maté sagt: „Das Heilen beginnt mit der Verbindung – zu uns selbst und zu anderen.“

3. Meditation und Achtsamkeit: Übungen, die Körper und Geist verbinden, können helfen, alte Wunden zu heilen.

4. Schamanische Heilmethoden: Für spirituell offene Menschen bieten Techniken wie schamanische Reisen, Energiearbeit oder Rituale eine alternative Möglichkeit, alte Traumata loszulassen. Insbesondere das Arbeiten mit Bewusstseinszuständen, Visualisierungen und symbolischen Ritualen kann helfen, „emotionalen Ballast“ loszuwerden. Besonders effektiv sind diese, wenn sie mit klassischen Methoden wie der Körper- oder Anteilsarbeit verbunden werden.

Fazit: Vom Schmerz zur Transformation

Die Nachkriegsgenerationen tragen eine schwere Last, die oft unbemerkt von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde. Doch wir leben in einer Zeit, in der wir die Möglichkeit haben, diese Muster zu erkennen und zu heilen. Mit Bewusstsein, Mitgefühl und gezielter Arbeit können wir die Wunden der Vergangenheit in eine Quelle von Stärke und Wachstum verwandeln. Johanna Haarers Werk mag als Mahnung dienen, wie tiefgreifend Erziehungsmethoden wirken können – und wie wichtig es ist, neue, heilende Wege für kommende Generationen zu finden.

Wie Dr. Gabor Maté so treffend formuliert: „Das Ziel ist nicht, perfekt zu sein, sondern bewusst. Nur dann können wir heilen.“

Machen wir uns also auf den Weg in uns die Folgen der Traumatisierung zu lösen, um dann statt unsere Kinder zu erziehen, sie begleiten zu können. Denn wir wissen es jetzt und haben alle Möglichkeiten es mit uns zu beenden. Gehen wir In die Verantwortung für unsere Kinder und nachfolgende Generationen.


Blog "Bewusst leben", WoTa, 11.01.2025

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